Die Wucht der Bilder

Von Lore Bardens – Potsdamer Neueste Nachrichten, 18.07.2006

Daniel Sambo-Richter zeigt das skandalisierte Individuum in der Inter-Galerie

Friedlich schlummern sie, die rosigen Wangen pausbäckig aufgeplustert in dem einem, zusammengekniffene Nase und Mund bei dem anderen Gesicht. Die „Babies“, Säuglingsköpfe in Serie, prangen an der Wand der Inter-Galerie und rühren den Betrachter ob all der versammelten, schlafenden Unschuld. Fast wäre man versucht, „ach, wie süß“ auszurufen, wenn das Süße nicht mit einer solchen Wucht und dieser seltsam überhöhten Farbigkeit daherkäme.

Wer Daniel Sambo-Richter zu kennen glaubt, wird sich wundern. Sah man ihn als Kunstpreisträger des Landes Brandenburg 1996 noch mit dem roten „Energieblock“ als komplett ungegenständlichen Künstler, der seine Dynamik und Emotion ganz in die roten Farbfelder legte, so kommt er heute figurativ genau als Porträtmaler daher. Schon in seinen „Head“-Arbeiten beschäftigte er sich mit dem menschlichen Kopf, der da noch reduziert war auf die universelle Form. Auch seine hier bekannte Serie der „Space-of-possibilities“-Suche (Raum der Möglichkeiten) bewegte sich noch in dem abstrakten Rahmen, mit dem man Daniel Sambo-Richter zu identifizieren können glaubte.

Während da noch Farbfelder miteinander in Horizontalen und Vertikalen nach flirrenden Landschaften ringen, die nicht nur der Natur ähneln, sondern auch Seelenbilder sein können, geht der 40jährige nun mit seinem exakten Pinselstrich so konkret an das Gesicht, dass einem angst und bange werden kann. Wenn der „Klagende“ ohne Rumpf und Kragen über rosa-mattgrauen Streifen in der Luft hängt und so als Nur-Kopf, quasi als Geköpfter, den Mund zu einem schier hörbaren Schrei aufreißt, die Augen in Trauer verhängt und seine gesamten Gesichtszüge nach unten zieht, scheint er förmlich in das Bodenlose zu fallen, von dem er kündet. Bis auf die „Babies“ zeigt keiner der Abgebildeten eine friedliche Miene, alle sind sie extrem gefühlsintensiv. Da gibt es den „Hooligan“, dessen brutale Fresse weit aufgerissen pure Gewalt ausstrahlt, und es gibt „Tooky Williams“, der seinem Todesurteil stoisch abgründig nach innen entgegenblickt.

Da gibt es den „Mann“ mit zusammengekniffenem Mund und nach unten drängenden Lefzen. Mit geschlossenen Augen versucht er verzweifelt, Ärger und Zorn im Zaum zu halten. Und auch ein berühmtes Gesicht: selbst wenn „Helmut S.“ mit seinem zu einem einzigen Nachdenken gewordenen Kopf hinter einer grünen Schräge versinkt, kann man doch erkennen, dass es sich hier um den ehemaligen Bundeskanzler handelt.

Diese Motive sind nicht zufällig gewählt. Das sind keine Menschen, denen der Künstler einfach so begegnet ist und die ihm interessant erschienen. Allmählich fertigt sich bei der Betrachtung der Gedanke und wird in Kombination mit dem Titel der Ausstellung „Hysteria“ zur Gewissheit: Daniel Sambo-Richter schleudert uns das Zeitungsfoto entgegen, setzt es in einem anderen Medium um und entlarvt dadurch die Gesetzmäßigkeiten des zeitgenössischen voyeuristischen Blicks.

Er zeigt das skandalisierte Individuum, das den Blick des Lesers auf sich ziehen soll. Hysterisch ist der Zustand unserer Welt, in der nichts anderes zählt als das Extrem: das extrem junge Menschenkind, der extrem verzerrende Schmerzzustand, die extreme Kraftanstrengung, die außergewöhnliche Angst, der schrecklichste aller Schrecken. Und das alles ist ganz normal. Das als Malerei verfremdet auf uns zurückgeworfen, eröffnet einen Spielraum der sinnlich verstehenden Reflektion. „Ich wollte ganz pur sein“, sagt Daniel Sambo-Richter und nennt diese Malerei gesellschaftskritisch. Und ist manchmal ganz augenzwinkernd, wenn er über den Schreibtisch des Galeristen Erik Bruinenberg die Porträts zweier Kampfhunde mit fletschenden Zähnen hängt.