Eroberung des Raumes

Phillip Schumann, 2020

Sambo-Richter lässt sich nicht auf einen Stil festlegen. Er arbeitet sowohl naturalistisch-figürlich als auch abstrakt, mit sichtbaren Pinselstrichen und Farbflächen.

Das Prozesshafte des Malens und Zeichnens steht dabei immer im Vordergrund. Jede Bildidee scheint aus einer inneren Notwendigkeit heraus ihr adäquates formales Vorgehen und ihre spezifischen Strategien einzufordern.

Die in den Jahren 2015 bis 2018 entstandene Serie Samurai ist das erneute Aufgreifen des Themas des kriegerischen Menschen und damit die Fortsetzung der großen Serie Warriors. Mehr als diese jedoch sind die Samurai ein Diskurs über das Zusammenspiel von schöpferischen Prozessen, Zerstörung und Destruktion in einer langen Tradition menschlicher Kriegskultur. Faszination, Mythos, Pathos, die Inszenierung einer stolzen Körperhaltung, naturalistisch gemalt mit klaren Linien und Flächen. Die schroff dargestellten Gesichter in den Zeichnungen wiederum sind diffus und bis zur Unkenntlichkeit überarbeitet, was den Fokus auf die Serie legt, nicht auf die Einzelfigur. Ikonenhaft mit Graphitstift gezeichnet, hart, klar und stark. Legenden der Vergangenheit.

In der Serie stecken Vergänglichkeit und Faszination. Die Samurai der Armee des japanischen Kaisers, in der Kriegskunst sowie in den Künsten ausgebildete Krieger des niederen Landadels, haben die Kultur Japans über Jahrhunderte mitbestimmt. 1867 wurde der letzte Shogun gestürzt, das Ende einer Ära.

Für Sambo-Richter stehen die Samurai als Metapher für einen generellen Zustand des Menschen, als ewig kämpfendes Individuum.

Den Kämpfern gegenüber stellt Sambo-Richter menschenleere Eislandschaften, Gletscher von erhabener Größe und brennende Wälder, Feuersbrünste. Hier geht der Kampf weiter. Aber es ist ein anderer Kampf. Im Gegensatz zu den Landschaften Caspar David Friedrichs stehen hier nicht Ideal und Schönheit im Vordergrund. Sambo-Richter geht es um seelische Prozesse und tief in der menschlichen Psyche liegende Inhalte und auch um das Symbol als Mahnung. 

Dieses kulminiert in dem Bild Bosporus, mit dem der Künstler seine Haltung beschreibt. Die weibliche Figur richtet ihren Blick nach innen, ruht meditativ in einer weiten Flusslandschaft. Einziger Hinweis auf eine verborgene Dramatik ist ein Tuch in ihrer Rechten, das die Form eines Vogels hat. 

Daniel Sambo-Richter reagiert mit seiner breit angelegten Bildsprache und den komplexen Inhalten auf gesellschaftspolitische Fragen. Figurative Malerei mit ruhigen abstrakten Elementen, Arbeiten voller Sehnsucht und Leidenschaft, Naturkolosse von beeindruckender Ästhetik.

Was verbindet diese Welten? Es ist der Stolz, die Größe, das Antlitz. Ikonen menschlichen Strebens nach Größe und Unsterblichkeit auf der einen Seite; auf der anderen Seite die schmelzenden Riesen einer unberührten Welt, Gletscher, der stete Wandel der Natur. „Es ist unwichtig, welcher Gletscher das ist“, stellt der Maler fest. Es gehe nicht um Dokumentation und Recherche, sondern um eine künstlerische Reflexion.

Auf den ersten Blick scheint das Bindeglied zwischen den Gletschern und Kriegern der Untergang zu sein, der Zerfall. Samurai kommt vom Japanischen und bedeutet „Beschützer“. Genauso schützen und beschützen die Gletscher die Natur. Schaffen Lebensraum, Wasser, Vegetation.

Sambo-Richter steht hier als Mahner, als ehemaliger Punk, als ein Mensch mit Widerstandsgeist – mit seiner sehr eigenen Ausdrucksweise und der Malerei als Rebellion.

Der Künstler regt mit seinen Arbeiten zum Nachdenken an, aus persönlichem Antrieb, aus Leidenschaft, ein Nachdenken über die Vergangenheit, den Zustand, über die Zukunft. Es ist die Einstellung des Künstlers, die Arbeiten sind seine Worte, sein flammender Appell. Die Eroberung des Raumes.